Schwäbisch für Besserwisser

Genottelt, nicht gerüttelt

"Nottel net so!" Diesen Befehl hört und versteht man nur im Schwäbischen. Das Notteln begleitet den Schwaben von der Wiege bis ins Alter, wenn er nottelig wird.

Bereits als Kind beginnt der Schwabe zu notteln. Er steht in seinem Laufstall, die Hände an den Stangen, die ihm den Weg in die Freiheit versperren, und nottelt so lange daran, bis er heraus darf oder eins auf die Finger kriegt.

Auf Hochdeutsch würde man vielleicht "rütteln" sagen, aber es ist nicht dasselbe. Ein Schwabe rüttelt nicht, denn das wäre ihm viel zu aufgeregt. Er nottelt lieber.

Umgekehrt wäre es falsch, beispielsweise zu formulieren: "Bei einer Gefangenenrevolte im Hochsicherheitstrakt von Alcatraz nottelten hunderte von Häftlingen an ihren Zellentüren." Eine solche Revolte wäre allenfalls deswegen erfolgreich, weil sich die Wärter angesichts nottelnder Schwerverbrecher totlachen würden.

Beim Notteln fehlt also die Verbissenheit, die beim Rütteln nicht selten mitschwingt. Deswegen - wenn wir schon gerade beim Beißen sind - rüttelt man nicht an seinem wackeligen Zahn, sondern man nottelt daran. Und wenn ein sparsamer Schwabe einen rostigen Nagel so aus seinem Untergrund entfernen will, dass er nicht verbiegt und noch ein weiteres Mal verwendet werden kann, dann nottelt er so lange daran, bis er sich löst.

Fischer übersetzt daher an etwas notteln völlig zu recht mit "es rasch, aber nicht heftig hin und her bewegen".

Man kann jedoch nicht nur an etwas notteln, sondern ebenso gut etwas oder jemanden notteln. Wenn ein Schwabe über einen anderen sagt, den müsse man einmal kräftig nottle, dann beabsichtigt er keine Körperverletzung, sondern die mechanische Auslösung eines Denkvorganges mit dem Ziel einer Verhaltensänderung.

Warum gibt es dieses vortreffliche Verbum nur im Schwäbischen? Die Frage ist wohl nicht zu beantworten. Allerdings ist festzuhalten, dass das Mittelhochdeutsche ein Zeitwort kannte, das notten hieß und "hin- und herbewegen" bedeutete.

Notteln ist nichts anderes als ein sogenannter Iterativ, eine Erweiterungsbildung zu notten. Iterative sind beispielsweise tröpfeln (zu tropfen), brummeln (zu brummen) oder hüsteln (zu husten). Sie sollen entweder das jeweilige Verb relativieren, ein "etwas" ausdrücken oder aber, wie im Fall von notten / notteln eine Wiederholung.

Das heißt, notteln bedeutet "etwas oder jemanden wiederholt hin- und herbewegen". Und so erschließt sich auch der tiefere Sinn jener Worte, die ein über 70-jähriger Ulmer Bäckermeister geäußert hat, nachdem er gerade Vater eines gesunden Buben geworden war. Er gestand seinen Freunden: "I muß me grad selber wundre, wiene den no neignottlet han."

Das konnte er eben nur, weiler, obschon recht betagt, noch nicht nottelig war.

 von Henning Petershagen

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